Jugendstudie 2022/2023 belegt hohe Zufriedenheit unter Brandenburgs Jugendlichen, aber auch Krisensorgen
Die Ergebnisse der Studie „Jugend in Brandenburg 2022/2023“ liegen nun vollständig vor. Sie wird seit 1991 regelmäßig im Auftrag des MBJS durch das Institut für angewandte Familien-, Kindheits- und Jugendforschung an der Universität Potsdam (IFK) an Brandenburger Schulen durchgeführt. Der dritte Ergebnisteil, der heute in Potsdam vorgestellt worden ist, thematisiert die Lebenszufriedenheit, Mitwirkungsmöglichkeiten und die Einstellung zu Krisen.
Katrin Krumrey, Kinder- und Jugendbeauftragte des Landes: „Brandenburg hat in den vergangenen Jahren einiges getan, um Kindern und Jugendlichen mehr Stimme im Land zu geben. Es wurden mit einer Änderung der Kommunalverfassung Beteiligungsrechte gestärkt und mit der Einrichtung der Beauftragtenstelle auf Landesebene eine zusätzliche Interessenvertretung geschaffen. Immer wieder wird mir aber gesagt, dass Kinder und Jugendliche zwar gehört werden, es mit dem Anhören jedoch endet. Das muss sich ändern, auch wenn das keineswegs heißt, dass Kinder und Jugendliche mit all ihren Wünschen stets durchdringen. Aber zumindest ein Dialog und die Erkennbarkeit, dass ihre Interessen ernsthaft in Abwägungsprozessen berücksichtigt werden, muss vermittelt werden. Eine Rede- und Antragsrecht in den kommunalen Ausschüssen würde hier sehr helfen.“
Priv.-Doz. Dr. Andreas Pöge, Autor der Jugendstudie: „Jugendliche in Brandenburg sind insgesamt sehr zufrieden mit ihrem Leben und blicken optimistisch in ihre berufliche Zukunft. Wir können aber beobachten, dass sich die derzeitigen Krisen –zum Beispiel Energiekrise und Inflation – auch auf Jugendliche als Teil der Gesamtgesellschaft auswirken. Die entstandenen Unsicherheiten zeigen sich unter anderem in einer verstärkten Orientierung an materieller Absicherung und einer wachsenden Wahrnehmung von ‚Fremdbestimmtheit‘, die sogenannte externale Kontrollüberzeugung. Gerade diese Überzeugung steht in deutlichem Zusammenhang mit ‚ausländerfeindlichen‘ und rechtsextremen Einstellungen. Es ist daher eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe, durch geeignete Maßnahmen und politische Mitwirkungsmöglichkeiten bei Jugendlichen wieder das Gefühl zu stärken, dass sie ihres ‚eigenen Glückes Schmied‘ sind.“
Lebensbedingungen, Zukunftsoptimismus und Partizipation
Lebenszufriedenheit: Brandenburgische Jugendliche sind mit allen erfassten Aspekten ihrer Lebenssituation mehrheitlich „zufrieden“ oder „eher zufrieden“. Hohe Zufriedenheit herrscht insbesondere mit der Wohnsituation (2017: 70,4 %; 2022: 72,4 %) sowie mit Freundschaften (2017: 70,3 %; 2022: 68,4 %) und der Beziehung zu den Eltern (2017: 67,2 %; 2022: 68,6 %). Fortgesetzt hat sich der leicht ansteigende Trend zur Zufriedenheit in den Bereichen „Finanzielle Lage“ (2017: 46,1 %; 2022: 48,3 %) und „Freizeitmöglichkeiten“ (2017: 48,2 %; 2022: 51,1 %). Dennoch ist immer noch knapp jeder fünfte Jugendliche mit seiner finanziellen Lage „unzufrieden“ oder „eher unzufrieden“.
Betrachtet man alle Aspekte der Lebenszufriedenheit zusammen – dazu gehören auch die Schul- bzw. Ausbildungssituation, die Gesundheit und die Möglichkeiten zur Selbstbestimmung – dann sind mehr als 95 von 100 Befragten „zufrieden“ (2017: 73,5 %; 2022: 73,7 %) oder „eher zufrieden“ (2017: 23,4 %; 2022: 22,6 %). Eine Minderheit von 3,5 Prozent ist „eher unzufrieden“ (2017: 3 %), und nur 0,2 Prozent der Jugendlichen sind gänzlich „unzufrieden“ (2017: 0,1 %) mit ihrer Lebenssituation.
Lebensziele: Ein gesundes Leben zu führen, besitzt für brandenburgische Jugendliche eine besonders hohe Bedeutung. Ähnlich wie in der Jugendstudie im Jahr 2017 schätzen auch in der aktuellen Studie fast drei Viertel der Jugendlichen die Wertorientierung „Gesund leben“ als „sehr bedeutsam“ und mehr als ein Fünftel als „bedeutsam“ ein. Seit Jahren hat dieser Aspekt beständig an Bedeutung gewonnen („sehr bedeutsam“ 2005: 56,3 %; 2010: 59,8 %; 2017: 73,1 %; 2022: 74,6 %). Insbesondere jüngere Jugendliche und weibliche Befragte messen einem gesunden Lebensstil eine hohe Bedeutung bei.
Bereits seit Langem von sehr hoher Bedeutung für brandenburgische Jugendliche ist das Lebensziel, eine erfüllende Arbeit zu haben (2017: 68,2 %; 2022: 63 % „sehr bedeutsam“), gefolgt von einem genussvollen Leben (2017: 61,9 %; 2022: 62 %). Materielle Aspekte haben seit 2017 deutlich zugenommen. Der Wunsch „Materiell abgesichert sein“ hat von 42,8 Prozent (2017) auf 56,8 Prozent zugenommen. Das Ziel „Viel Geld verdienen“ halten 35,3 Prozent der Jugendlichen für „sehr bedeutsam“ (2017: 24 %).
Mitwirkungsmöglichkeiten: Gut die Hälfte der Jugendlichen (53,8 %) ist der Ansicht, dass die Stadt oder Gemeinde viele Beteiligungsmöglichkeiten bietet. Doch sind lediglich 35 Prozent von ihnen der Meinung, dass die Kommune ihre Interessen in der Politik auch berücksichtigt.
Vor allem Mitwirkungsmöglichkeiten wie Befragungen (21,6 %), Online-Befragungen (21,4 %) oder ehrenamtliches Engagement wie Müllsammeln oder Durchführung von Festen (15,5 %) wurden von den befragten Jugendlichen schon wahrgenommen. Am häufigsten haben sich die Jugendlichen schon einmal an der Auseinandersetzung über „Schulhofgestaltung“ (28,3 %), „Auswahl des Essensanbieters in der Schule“ (19,1 %) sowie „Pflege/Bau von Sportanlagen oder Spielplätzen“ (16,9 %) beteiligt. Die Mehrheit der Jugendlichen (62,4 %) hat schon mindestens einmal eine politische Beteiligungsform (z. B. Demonstration, Bürgerinitiative, Unterschriftenaktion) genutzt. Die befragten Schülerinnen und Schüler beteiligen sich vor allem aktiv an Wahlen (34,5 %), Unterschriftenaktionen oder Online-Petitionen (29,3 %) oder nehmen an Demonstrationen teil (22,7 %).
Berufsbezogene Zukunftserwartungen: Der berufsbezogene Zukunftsoptimismus liegt in etwa auf dem Niveau des Jahres 2017, in dem der höchste Stand seit der ersten Erhebung im Jahr 1993 zu verzeichnen war. 87,5 Prozent der Jugendlichen blicken mit einem „hohen“ oder „eher hohen“ berufsbezogenen Optimismus in die Zukunft (2017: 88,8 %).
Jugend als Spiegel der Gesellschaft
Erleben aktueller Krisen: Am bedrohlichsten wird von den Jugendlichen die „Inflation“ (62,7%) und eine „mangelnde Energieversorgung“ (49,2 %) wahrgenommen. Am wenigsten bedrohlich erscheint den Jugendlichen die Corona-Pandemie (9,6 %). Mit Blick auf den Krieg gegen die Ukraine haben Jugendliche vor allem Angst davor, dass es zu einem Einsatz von Atomwaffen kommt (69,1 %). Viele Jugendliche befürchten negative Auswirkungen auf die finanzielle Situation ihrer Familie (69 %) und, dass der Krieg noch lange dauert (68,2 %). Die Aufnahme von zusätzlichen Flüchtlingen gehört zu den – im Vergleich zu anderen Aspekten – als weniger beängstigend wahrgenommenen Kriegsauswirkungen (63,8 %). Dabei bestehen starke Zusammenhänge zwischen der Angst vor der Aufnahme weiterer Flüchtlinge und „Ausländerfeindlichkeit“ sowie Rechtsextremismus.
Kontrollüberzeugungen: Eine hohe internale Kontrollüberzeugung (Überzeugung, „seines eigenen Glückes Schmied zu sein“) stärkt die Zufriedenheit sowie die psychische und physische Gesundheit. Eine hohe externale Kontrollüberzeugung (Gefühl der „Fremdbestimmtheit“) begünstigt Politikverdrossenheit, Gewaltbereitschaft, „Ausländerfeindlichkeit“ und Rechtsextremismus. Die meisten brandenburgischen Jugendlichen empfinden eine „niedrige“ oder „eher niedrige“ externale Kontrolle (65,3 %), aber der Anteil der Jugendlichen, die sich „fremdbestimmt“ fühlen, ist so hoch wie noch nie seit 1996.
Hintergrund
Seit 1991 werden Veränderungen ausgewählter Lebensbedingungen und Einstellungen Jugendlicher im Land Brandenburg in unterschiedlichen zeitlichen Abständen erfasst. Einschließlich der vorliegenden Untersuchung wurden bisher neun Studien durchgeführt. Für die aktuelle Studie wurden von November 2022 bis Januar 2023 insgesamt 3.140 Schülerinnen und Schüler an 36 allgemeinbildenden Schulen und OSZ des Landes Brandenburg befragt. Die Studie ist repräsentativ: Alle Altersgruppen, Schulformen und Regionen sind angemessen vertreten (Ausnahme: Oberspreewald-Lausitz). Die Daten wurden für die deskriptiven Analysen gewichtet und in thematischen Teilschritten ausgewertet. Teil 1 zu den Themen „Ausländerfeindlichkeit“ und Rechtsextremismus wurde am 27. Juni 2023 am Rande des Fachgesprächs „Extremismus an Schule“ in Cottbus vorgestellt. Die Ergebnisse zum Kontext Schule wurden im zweiten Teil im Zuge der Pressekonferenz zum Schuljahresbeginn am 24. August 2023 präsentiert.
- Ergebnisse der Studie „Jugend in Brandenburg 2022/2023“
- Kurzdarstellung der Untersuchungsergebnisse „Jugend in Brandenburg 2022/2023“
- Jugendstudie 2022/2023: Teilaspekt „Ausländerfeindlichkeit“/Rechtsextremismus
- Jugendstudie 2022/2023: Teilaspekt „Schule“ zum Schuljahresauftakt
- Website des IFK an der Universität Potsdam